Mittwoch, 12. Juli 2006

Beim nächstenmal ist alles anders

Da isser: Mein Beitrag zu .

Hier findet ihr noch die vorangegangene Geschichte von Frau Schnuten.

Beim nächstenmal war alles anders. Doch einfacher war es nicht. Die Vorstellung, das Wissen, daß sie es einfach beendet hat, funktioniert irgendwie nicht.
Ich glaube, sie war mir ein bisschen ähnlich, damals jedenfalls. Obwohl ohne Zuhause und ohne Begleiter, bis auf den Hund, schien sie doch mit dem Leben als Streunerin zurechtzukommen. Sie schaffte es sogar, abends die Schule zu besuchen. Wo sie ihre Unterlagen aufbewahrte, wo sie einen Ort hatte, an dem sie in Ruhe lernen und Übungen erledigen konnte, ist mir bis heute ein Rätsel.
Sie war wohl eine Lebenskünstlerin, sah so glücklich aus auf den Fotos aus Griechenland. Einfach mit ein paar Freunden ins Blaue gefahren, wo nahm sie das Geld her? Auf Vorrat geschnorrt, geht das überhaupt? Denn dort, in dem kleinen griechischen Dorf war wohl kein Geld aufzutreiben. Irgendwie hat sie es gemacht, irgendwie hat sie sehr viel hingekriegt, zum Schluß ganz auf straight, keine Drogen, kein Alkohol, keine Seife an den Körper gelassen. Um wieder rein zu werden, keine Chemie mehr, weder außen noch innen. Aber wohl nicht erfolgreich, zumindest für sie selbst nicht zufriedenstellend, denn wie sonst wäre das passiert?
Sich vor den Zug zu werfen. Wie muß man denken, um das Unvorstellbare real werden zu lassen? Denn gedacht hat sie sich bestimmt was dabei, oder war es eine Laune? Ein Unfall? Keiner weiß es genau, doch die Meinung, daß sie selbst den Schritt getan hat, den Schritt in den Abgrund, diese Meinung hielt sich und wurde weitergegeben.
Möglicherweise ist sie einfach am Weg nach oben gestrauchelt, ein kleiner Tritt neben den sicheren Steig und ein großer Wagen, der plötzlich in die Station einfährt.
Wenn man nicht mehr ganz unten ist, sondern schon ein paar Stufen erklommen hat, ist es wesentlich dramatischer. Wenige Monate zuvor wär es nicht so erschreckend unpassend gewesen, da wär es beinahe normal erschienen. Alltagsgeschehen bei Freaks.
Aber es fühlt sich noch Jahre danach nicht normal an. Ich kannte sie nicht gut, doch wenn ich mir vorzustellen versuche, daß sie wahrscheinlich schon zu Staub vermodert ist, daß sie nie wieder lachend ihrem Hund davonspringen wird, daß sie nie wieder..., ich kann es mir nicht wirklich vorstellen, daß sowas möglich ist.
Und doch wird das Unglaubliche wieder geschehen.
Der Tod wird auch mein Leben öfter besuchen, er hat sich wenige Jahre danach wieder blicken lassen.

Beim nächstenmal war alles anders. Doch leichter war es nicht. Diagnose Krebs.
Trifft ja viele, hört euch mal um. Aber das ist ja in diesen Tagen kein Todesurteil mehr. Da machen wir schnell eine Chemo, ja das ist hart, aber nur die Harten kommen durch und dann, nach ein paar Monaten, ist alles wieder in Ordnung. Dann geht das normale Leben wieder weiter.
Doch anders als gedacht mein Schatz.
Nur drei Monate und etliche verschobene Besuche, dann kam der Anruf. „Es geht ihr sehr schlecht. Kannst du morgen kommen? Denn wenn nicht, wirst du sie wahrscheinlich nicht mehr sehen können.“ Auf den ersten lähmenden Schreck folgte ein Nachmittag der Tränen. Unverständnis. Wieso sterben, davon hat doch nie jemand im Zusammenhang zu ihr gesprochen, wie konnte das plötzlich passieren? Flucht zur Mutter der Freundin. Trost suchen, wo kein Trost möglich ist. In der Geborgenheit der Umarmung langsam vom Versuch das Unbegreifliche zu begreifen zur ersten Erkenntnis: Die Zeit läuft dir davon. Mach was!
Also schnell ein paar Sachen gepackt und ab in den Zug. Im Zug dann der Brief. Ich mußte ihr doch noch soviel sagen, wußte aber nicht, ob das noch möglich ist. Also aufschreiben, wie so oft die Rettung für meine Seele. Irgendwie auslagern, was mir durch den Kopf geht, damit er nicht zerspringt unter dem Druck der Gedanken.

Im Krankenhaus dann die Familie getroffen. Alle sehr gefaßt, meine Trauer erschien mir beinahe unanständig angesichts des Leids, daß ihre Kinder und ihr Mann empfinden mußten. Doch ich konnte nicht aufhören, verzweifelt zu schluchzen, mein Körper krümmte sich in Analogie zu meinem verkrampften Herzen.
Und so grotesk es klingt, auch Komik und Freude schlich sich ein. Wie überall im Leben, so muß auch in der Zeit des Sterbens Platz dafür sein.
Wir hatten uns seit einer Weile entschlossen, daß es schön wäre, einem Kind das Leben zu schenken. Und ich mußte es aussprechen, wie schade es war, daß ich ihr nun niemals mein Kind zeigen könnte, daß sie es niemals im Arm wiegen wird, so wie sie es mit mir getan hat. Plötzlich steigt ungläubige Freude in den Gesichtern meiner Mutter und meiner Schwester auf:“Seit wann weißt du?!“
Doch es gab kein neues Leben in mir. Wenn es aber irgendwann kommt, so wird es in unserer Familie herzlich willkommen geheißen und es wird mit der Erinnerung an sie aufwachsen. Mit den Erzählungen, vor allem denen meiner Mutter, in denen sie lebendig bleibt, in denen wir sie auf neue Weise kennenlernen. Auch ihre Stimme höre ich noch, die Lebenslust, die aus ihr sprach, die Freude bei der Begrüßung und auch den Tadel, den sie uns Kindern erteilte, wenn wir übermütig waren.
Oft würde ich ihr gerne erzählen, wie es weitergeht mit uns. Auch wenn ich glaube, daß sie es weiß, daß sie weiter irgendwo da draußen da ist und mit uns lacht und weint.
Den Brief hab ich ihr vorgelesen, ich durfte eine Weile allein mit ihr bleiben und Abschied nehmen. Sie atmete noch schwer, bis ihr Mann ihr sagte, daß sie gehen darf. Das war wohl notwendig, daß ihre Lieben sie freigaben, damit sie sich nicht mehr quält.

Die nächsten Tage verbrachte ich wie in Trance, kann mich nicht erinnern was ich getan habe. Erst wieder am Tag des Begräbnisses. Ich war wohl irgendwann in der Zwischenzeit einkaufen, hatte mich neu eingekleidet, sie legte immer Wert auf elegante Kleidung.
Am Friedhof wünschte ich mich fort, meine rauhen Schluchzer störten die Andacht, warum nur konnte ich mich nicht beherrschen.
Den Brief gab ich ihr mit ins Grab.
Mein Onkel schien so starr, ich konnte ihn nicht umarmen, und mein Kusin, er schien eher mich trösten zu wollen und zu stützen, als wir einander in den Armen lagen. Verkehrte Welt. Nur gut, daß ich mich in deinem Mantel verstecken durfte, daß du die ganze Zeit da warst für mich. Ich fühlte mich so allein, doch wie allein wäre ich erst gewesen ohne dich?
Wenn ich mich daran erinnere, fühle ich wieder den Knoten in meinem Hals, der mir die Luft abzuschnüren droht. Hin und wieder darf ich das zulassen, doch nicht in der Vergangenheit verweilen. Es ist wichtig sich zu erinnern, an sie, so wie sie war, ohne Verklärung, auch sie hatte ihre Fehler, wäre sie doch ohne Fehler unmenschlich gewesen.
Doch viel wichtiger ist es, das Leben zu leben und zu feiern, wie sie es gerne getan hat. Den Tag von einem Lächeln umspielen lassen und die Wärme der Sonne im Herzen behalten.

Und beim nächstenmal wird alles anders sein. Doch es wird schwer sein. Wenn der Tod wieder Schatten aufziehen läßt. Es wird wieder unerwartet sein, den richtigen Zeitpunkt dafür gibt es wohl nicht. Auch wenn man meint, nach langer Lebenszeit darf der Schlaf die Müdigkeit ablösen. Er darf und soll, das ist der Lauf der Zeit. Nur wird es wieder vieles geben, daß ich noch sagen und tun wollte. Dinge für die ich dann aber, im Hinblick auf das Später, das Jetzt hintan gestellt hätte. Das Jetzt muß aber gelebt werden, sonst zieht das Leben an uns vorüber.
Beim nächstemal wird alles wieder anders sein. Doch auch diese Schatten werden wieder vorüberziehen.

Vielleicht ist auch beim nächstenmal alles anders. Vielleicht ist es leicht und einfach.
Vielleicht zieht beim nächstenmal nicht der Tod vorbei, sondern das Leben ein.
Und damit wird alles anders sein, manchmal schwierig, manchmal schön, aber immer lebendig!
Ja, beim nächstenmal wird alles anders.

8:23 - 8:36

Manch einer wird sich wundern, daß Frl. Kinkerlitzchen um diese Zeit bereits fähig ist zu schreiben.

Nun, einer meiner Nachbarn brauchte bereits frühmorgens seine Extradröhnung Musik - "And no one said it would be easy" schallte in Konzertlautstärke über den Innenhof. Das war um 8 Uhr 23. Und beinahe witzig, wenn es nicht gerade 8 Uhr 23 gewesen wäre.
Dann folgten noch einige Minuten Schlagzeug gemischt mit Synthesizer-Gedudel und um 8 Uhr 36 fragte das Fräulein den Liebsten von allen: "Magst auch einen Kaffee, Schatz?"

13 Minuten, die ausreichten, das Fräulein Siebenschläfer inklusive Herrn Obersiebenschläfer aus dem Bett zu treiben. Wer der beiden Schlaf- bzw. Aufstehgewohnheiten kennt, speziell die des Zweitgenannten, wird dies mit Staunen goutieren und sich möglicherweise fragen, ob man diesen Nachbarn nicht unter Vertrag nehmen könnte.

Um 8:42 fiel mir dann übrigens auf, daß ich vor lauter Ärgern und Mosern die plötzlich eingetretene Stille kurzfristig überhört hatte.

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Jan (Gast) - 2014-01-26 18:45
.
momoseven - 2013-10-25 15:26

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