Nachgedacht

Dienstag, 14. Februar 2006

Mit-Schuld?

Am Wochenende Erinnerungen aufgefrischt und Folgendes schockiert zur Kenntnis genommen.

Als I. und ich unser Elternhaus verließen, um uns den rauhen Wind der bösen Welt um die Nasen wehen zu lassen, taten wir dies nicht ganz allein.
Ein Mädel aus dem Nachbardorf, gerade mal 15 Jahre alt, folgte uns nach.
Woher sie genau Bescheid wußte, wo wir zu finden waren, entzieht sich meiner Kenntnis, doch eins ist sicher: die Buschtrommel war damals am Glühen!

Laut ihrer Mutter sah D. in mir das große Vorbild, ich kannte sie nicht, ja, ich wußte, daß es sie gab, hatte aber meines Wissens nie mit ihr gesprochen.
Zudem fand ich selbst I. viel cooler als mich, doch die Umgebung nahm anscheinend mich als bunter und auffälliger wahr.
Und so riß eines Tages auch D. von zuhause aus und in das besetzte Haus in G. ein. Sie hatte dann eine Beziehung mit O., der ziemlich heftig drauf war, ein alter Hase in der Punkszene.
Mehr weiß ich aus eigener Erinnerung nicht mehr, D. spielte in meinem Leben nie eine Rolle.

Ihre Mutter hatte in den folgenden Monaten gemeinsam mit meiner Mutter nach der Tochter gesucht – ohne Erfolg.
Irgendwann muß D. dann doch wieder Kontakt mit dem Elternhaus aufgenommen haben, denn in den letzten Jahren bekam sie ein Kind, das tagsüber von ihrer Mutter betreut wird.
Da sie den Absprung aus den desolaten Verhältnissen aber nie geschafft hat, zudem drogenabhängig ist, liegt D. nun mit ihrer eigenen Mutter im Sorgerechtsstreit um ihr Kind.

Mir gibt das schon zu denken, so hätte es auch mit mir leicht ausgehen können.

Und ein kleiner, hinterhältiger Gedanke geistert durch meinen Kopf, daß ich mit Schuld daran trage.
Schließlich ist D. meinem Beispiel gefolgt.
Ich hatte sie nicht eingeladen, doch hätte ich den Sprung nicht getan, wäre sie vielleicht niemals gesprungen.
Ich mache mir deswegen keine Selbstvorwürfe, kann doch niemand guten Gewissens behaupten, daß ich D. in den Ruin getrieben habe – das hat sie schon selbst, als sie mit fünfzehn diesen Weg einschlug, wie ich, ohne mögliche Folgen zu bedenken.
Aber ich erkenne, wie weitreichende Kreise unser Handeln ziehen kann, man kann zwar niemals alle Konsequenzen in seine Entscheidungen miteinbeziehen, dann würde man ewig im Stillstand verharren, zudem wäre auch das eine Entscheidung, die das Leben um einen beeinflusst.
Und ich sehe, daß mein Handeln Auslöser dafür war, daß ein anderes Leben konkret unschön verläuft, das stößt mir bitter auf.

Freitag, 27. Januar 2006

Primär- und Sekundärtugenden

Da hab ich beim Teacher was gefunden, was mir ausnehmend gut gefällt.
Nachgesagt wird Folgendes dem Jesuitenpater Rupert Lay, der für sein Lebenswerk und seine Verdienste um ethisches Managment und Unternehmensethik 2004 den Fairness-Ehrenpreis der Fairness-Stiftung verliehen bekam.

Grob zusammengefasst unterscheidet er zwischen Managern und echten Führungspersönlichkeiten und zwischen Primär- und Sekundärtugenden.

Der größte Fehler ist, wenn Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Ordnung, Sauberkeit und Gehorsam an erster Stelle stehen.
Nach solchen Sekundärtugenden funktioniert auch jedes Konzentrationslager.

Und die Primärtugenden?
Zivilcourage, Konfliktfähigkeit und Toleranz.

Wie werden diese Tugenden in unserem Umfeld gelebt?
An welche Stelle werden sie von dieser unserer modernen Gesellschaft gereiht.
Und zwar nicht hochoffiziell, sondern wie seht ihr die tatsächliche Realität hinter dem, was man tun sollte und dem, was oft einfacher ist?

Ich persönlich dachte mir gleich, mhmm, schlimm, dort wo ich die meiste Zeit verbringe funktioniert’s zwar nicht wie im KZ.
Aber wenn's hart auf hart kommt, dann werden nur Sekundärtugenden tatsächlich eingefordert.
Mit den Primärtugenden schmückt man sich zwar gerne, mit der tatsächlichen Umsetzung hapert’s aber doch sehr, damit eckt man ja doch leicht an, wird lästig und schwerer zu handhaben und abzutun.

In meinem Familien- und Freundeskreis sieht dies glücklicherweise anders aus.
Dort schätzt man größtenteils den Aufwand, den es die Seele und den Kopf kostet, nicht nur zu funktionieren, sondern zu leben, sich mit den andern auseinanderzusetzen, sieht dies als Bereicherung und nicht als Belastung.
Ich selbst bemühe mich auch weniger um die Sekundärtugenden, die erscheinen mir persönlich meist ein bisserl unbequem, eher lästige Notwendigkeit.

Wie empfindet ihr euer Verhalten und das eurer Umwelt in diesem Zusammenhang?
Und was liegt dem zugrunde, bewusste Erziehung oder Lernen durch Erfahrung?

Mittwoch, 11. Januar 2006

Dosierung der Wahrheit

Vor einigen Tagen habe ich abends einen Beitrag unter der Rubrik „Straßenleben“ veröffentlicht und nach einigen Stunden, in denen ich mich schlaflos von einer Seite des Bettes auf die andere wälzte, doch wieder offline gestellt.

Nun ist es zwar nicht so, dass ich ein Geheimnis drum gemacht habe, was ich so alles erlebt habe, in meinen „wilden Jahren“, aber so richtig explizit und detailreich hab ich auch nicht alles erklärt.

Es drängt mich, alles aufzuschreiben, tiefere Einblicke zuzulassen, und doch; etwas in mir warnt mich, rät zur Vorsicht.
Wieviel der hässlichen Wahrheit darf ich mir Nahestehenden zumuten?

Andererseits ist es schon so lange her, es ist ja nicht mehr zu befürchten, daß ich nochmal in so eine Stimmung oder Situation reinkippe. Und ich bekomme Reaktionen von Freunden, die unbedingt „mehr“ haben wollen.

Ich habe das Bedürfnis mich mitzuteilen, die Welt aus meinem damaligen Blickwinkel zu beschreiben, anderen ein Gefühl zu vermitteln, was in jemand, der sich so aus der Gesellschaft rausbewegt, vorgeht.
Verständlich zu machen, wie stolz es mich macht, es aus eigener Kraft wieder herausgeschafft zu haben – allen Statistiken zum Trotz.

Ich möchte hervorheben, daß Eltern, andere Bezugspersonen, Sozialarbeiter alles versuchen können, wahnsinnig viel Energie in die „Rettung“ eines Jugendlichen, der abzudriften droht, investieren – und doch „versagen“.
Denn ohne ein Quäntchen Glück, das Klick im Kopf, das demjenigen klarmacht, daß es jetzt genug ist, das nun die Zeit gekommen ist, sein Leben wieder in geordnetere Bahnen zu lenken, um die geistige und körperliche Gesundheit zu wahren, ohne die Bereitschaft und den Willen, sich wieder aufzurappeln, ohne die Hoffnung, daß es Sinn macht zu kämpfen, wird kein Helfer je erfolgreich sein. Jedenfalls nicht dauerhaft.

Und ich möchte auch darstellen, wieviel meine Familie mir geholfen hat.
Wie sie die richtigen Dinge im richtigen Augenblick getan oder unterlassen haben – ich vermute, oft in der Gewißheit zu scheitern, genau verkehrt zu handeln, und doch hat sich in der Gesamtheit der Ereignisse alles als passend erwiesen. Ein Puzzleteilchen ergänzte das andere, ein stimmiges Bild entstand, das noch weiter an Tiefe gewinnt.

Wer weiß, finde ich überhaupt die richtigen Worte, all das auszudrücken.
Wer weiß, wieviel ich tatsächlich niederschreibe.
Wer weiß, ob ich damit richtig handle oder falsch.

Aber du kannst mir sagen, wieviel Wahrheit du gerne haben möchtest, in großen oder kleinen Häppchen, deftig, bitter oder süß.

Montag, 19. Dezember 2005

Heute hingegen...

Ja, heute bin ich im Vergleich zu letzter Woche nahezu entspannt, die ultimative Verzweiflung ist gewichen, meine Gedanken laufen nicht mehr wie ein kopfloses Huhn im Kreis.
Wobei sich die Rahmenbedingungen augenscheinlich nicht verändert haben.

Lag es am Vollmond?
Hat mein Gehirn eingesehen, dass alles Strampeln und Aufbäumen nichts hilft?
Lag es am Wochenende, daß ich in absoluter Tot-Stellung verbracht habe?
Oder daran, dass ich ohnehin mal einige Wochen abwarten muss, was weiter kommt?

Selbst wenn ich eine Entscheidung treffe, die alles verändert, dauert es noch geraume Zeit, bis alles abgeklärt ist, bis ich tatsächlich in die Tat umsetzen kann, was bisher noch vage überlegt wird.

Aber wie kann sich, beinahe über Nacht, ein so allumfassendes Gefühl der Hilflosigkeit u Trostlosigkeit fast in Luft auflösen?
Genau so plötzlich wie es aufgetaucht ist. Seltsam, nicht?

Wenn so was passiert, zweifle ich doch leicht an meinem Verstand.
Bin ich möglicherweise überaus talentiert, mir Befindlichkeiten einzureden?
So geübt darin, dass ich es gar nicht mehr bewusst bemerke?
Wenn ja, warum funktioniert das immer wieder mit negativen Dingen so gut, so dass ich nur so wahnsinnig schwer wieder hinausfinde?
Aus positiver Stimmung falle ich viel leichter wieder raus.

Und sehen das auch andere, die meinen Alltag teilen?
Erkennen sie schon vor mir selbst, wenn ich in eine irreale Welt abgleite?
Und warum halten sie mich nicht zurück?
Ist es gar nicht möglich, mich im Hier und Jetzt zu halten?

Und plötzlich dann wieder ein Umschwung, ohne zu wissen warum, zurücktorpediert in normales Empfinden.

Wie auch immer, ich fühle mich besser, das ist schließlich auch schon was!

Mittwoch, 2. November 2005

Notwendige Polarität?

Ich bin der Meinung, daß grundsätzlich alles im Leben seine Berechtigung hat (naja, von einigen ganz ganz furchtbaren Sachen wie Kindesmißbrauch, Folter, heftige Angriffe auf Leib, Leben und Seele mal abgesehen), also nicht nur Dinge, die uns glücklich machen, sondern auch die, die uns momentan schwer unglücklich machen. Denn aufgrund dieser Erfahrungen sind wir danach in der Lage, Glück wertzuschätzen.
Ohne das Eine ist das Andere nicht möglich bzw. nicht einzuschätzen.

Ganz simpel gesagt: Wie kalt ist einem Eskimo im arktischen Sommer? Ist es gleich kalt, wie einem Afrikaner im europäischen Frühling, der von uns schon als warm empfunden wird? Oder ist es so heiß, wie wir Sommer empfinden, da der Winter für den Eskimo die größtmögliche Kälte bedeutet, so wie auch unser Winter für uns. Nur eben nicht in absoluten Zahlen ausgedrückt, sondern zueinander in Vergleich gesetzt.

Wie oft sagt man zu jemanden, ich versteh deinen Kummer, aber hat derjenige, der sich dieses anmaßt, tatsächlich eine Ahnung davon, wie stark der andere gerade fühlt?
Und warum sagen wir praktisch niemals, ich versteh dein Glück, man schüttelt eher den Kopf und freut sich halbherzig (und beinahe hilflos, weil verständnislos) mit.
Jeder sieht die Welt anders, da jeder nur aus seinem eigenen Kopf und Erfahrungsschatz rausgucken kann. Somit muß auch jeder etwas anderes spüren, wenn er von Gefühlen bewegt wird. Und doch ist es für uns Menschen wichtig, daß andere nachvollziehen können, wie es einem gerade geht, daß andere ebenso glücklich sind, ihre Freude oder auch Trauer teilen. Und wenn Mitleid eigentlich niemandem was bringt, nennen es die meisten doch so, auch wenn sie eher Mitgefühl und Unterstützung meinen.
Mitfreude gibt es nicht oder Mitglück, warum nicht? Weil Mitgefühl dies alles beinhaltet?

Gibt es Leute die seelisch vollkommen gefühllos sind, so wie es Leute gibt, die einfach kein körperliches Schmerzempfinden besitzen? Wenn ja, sind das dann typische Soziopathen, die irgendwann zu Massenmördern werden, aber selbst dabei muß irgendeine Motivation, also ein Gefühl, eine Rolle spielen. Warum werden solche Menschen mangels Empathie anderen gefährlich, diejenigen, die nur am körperlichen Fehlen des Schmerzes „leiden“ sind aber in erster Linie selbst gefährdet, da sie nicht rasch bemerken, wenn sie sich verletzen.
Wie bemerkt so ein seelisch Unempfindlicher dann, daß er verletzt wurde? Niemals?
Oder ist es gar nicht möglich, diesen Menschen zu verletzen?
Handelt es sich überhaupt um Menschen im moralischen Sinn, wo doch gemeinhin behauptet wird, die Seele, somit Emotionen, machen das Menschliche im Menschen aus?

Um nochmal zum Anfang zurückzukehren, ich glaube, so richtiges Glück konnte ich erst verspüren, nachdem ich beinahe tödlich verletzt wurde, zumindest fühlte es sich damals so an.
Doch was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Ich habe aus dem tiefen, tiefen Dunkel wieder ins Licht gefunden. Und auf dem Weg dahin, als der Schmerz noch so präsent war, machten mich schon ganz winzige Kleinigkeiten so glücklich, daß es wiederum weh tat. Ich war den Gefühlsstürmen hilflos ausgeliefert und war ständig in Tränen aufgelöst, doch diese haben viel Ballast mit sich geschwemmt. Und irgendwann waren die Tränen beinahe versiegt, nur hin und wieder fand sich noch ein Häufchen Dreck, das schnell rausgewaschen werden mußte.
Das erste Mal, als ich einen Mann liebte, war ich überzeugt davon, bei diesem Gefühl kann es sich nur um Liebe handeln.
Mittlerweile habe ich mehrere Männer geliebt und mich teilweise auch wieder entliebt, doch je mehr ich erlebe, je mehr Schmerz und Kummer ich überwinde, desto mehr Liebe und Glück kann ich empfinden, obwohl sich die erste Liebe bereits maximal anfühlte und auch beim zweiten Mal emfand ich die Liebe als größtmöglich. Vergleichbar mit Zahlen, an die man immer noch 1 hinzufügen kann, es ist einfach unendlich.
Und so ist wohl beinahe alles auf dieser Welt wichtig und wert, früher oder später, manchmal dauert es Jahre, bis man erkennt, wie wichtig eine Erfahrung war, denn ohne genau diese eine Erfahrung wären wir nicht, wer wir heute sind.

Und das Schlimmste, was mir passieren kann, ist nicht Schmerz, sondern Mittelmaß über lange Zeit, keine Höhen und keine Tiefen. Denn nur wenn die Gefühle intensiv sind, spüre ich erst richtig, daß ich lebe.

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Wo ist das aufgenommen? Hier gibts mehr facebook.com/ROAStreetArt
Jan (Gast) - 2014-01-26 18:45
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momoseven - 2013-10-25 15:26

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